Christlicher Antinatalismus

D i l e m m a. -  Der Antinatalismus hat tiefste Wurzeln in der christlichen Lehre. Über den Weg der vollkommenen Keuschheit, also des allgemeinen Zölibats, wurde er zum wichtigen Leitgedanken, der zur Erlösung führt. Arthur Schopenhauer (Spicilegia, 242,1) und Philipp Mainländer haben ausführlich auf diesen Sachverhalt hingewiesen und bei Mainländer sind in „Philosophie der Erlösung“ die zugehörigen Bibeltextstellen (Matth.19, 11-12; Luk. 20, 34-36; Apokalypse 14,4; 1. Kor. 7,1; 1. Kor. 7, 32-33 sowie im Buch der Weisheit 3.Kap, 13-14; 4. Kap. 1-2) dokumentiert und erörtert.
Interessanter aber als der Rückgriff auf die ausschlaggebenden Textstellen ist die Interpretation dieses Faktums durch den Kirchenlehrer und Kirchenvater Augustinus, der die Zielrichtung für den christlichen Glauben präzise vorgibt, eine Zielrichtung, die in der heutigen Kirche immer noch Gültigkeit besitzt, den Gläubigen gegenüber aber systematisch verschwiegen wird. Lediglich der Zölibat der Priester, also der tiefer in die Glaubensforderungen Eingeweihten, erscheint heute vordergründig in der Öffentlichkeit. Der uninformierte Gläubige wundert sich, nachdem Martin Luther den Zölibat abgeschafft hat, über diesen Grund der Askese und wird mit belanglosen sophistischen Erklärungen seitens der Catholica abgespeist. Man fürchtet die geistige und intellektuelle Überforderung der Glaubensschafe, würde doch die eigentliche Botschaft deren Weltbild ins Wanken bringen, es vollständig aufheben und zerstören. Augustinus (De bono conjugali c.10) sagt nämlich:
„Ich kenne einige, welche murren und sagen: wie nun, wenn alle sich jeder Begattung enthalten wollten, wie könne dann das Menschengeschlecht bestehen? Möchten sie´s doch alle wollen! wofern es nur geschähe in Liebe, aus reinem Herzen, mit gutem Gewissen und aufrichtigen Glauben: dann würde das Reich Gottes weit schneller verwirklicht werden, indem das Ende der Welt beschleunigt würde.“
Augustinus fordert somit im Klartext die Verneinung des Willens zum Leben, um das Leben der Menschheit auf diesem Planeten zu beenden, damit sich der Gottesstaat vollende.
Versteht man nun das Dilemma der Kirche, diese christliche Kernbotschaft der Allgemeinheit zu predigen?

Gunter Bleibohm, Aphorismen 

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