Die Position der Tierrechte

Der Grundgedanke der Tierrechte

von Dr. Tom Regan

Diese anderen Tiere, die von den Menschen gegessen, für die Wissenschaft verwendet, gejagt, in Fallen gefangen und auf vielerlei andere Weise ausgebeutet werden, alle diese Tiere haben ihr eigenes Leben, das für sie, ganz unabhängig von ihrem Nutzen für uns, von Bedeutung ist. Sie sind nicht nur auf der Welt, sie sind sich der Welt bewusst. Was mit ihnen geschieht, ist wichtig für sie. Jedes von ihnen lebt sein Leben und hat es mit diesem seinem Leben gut oder weniger gut getroffen.

Dieses Leben umfasst eine Vielzahl biologischer, individueller und sozialer Bedürfnisse. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse stellt eine Quelle der Freude dar, ihre Einengung oder Missachtung dagegen erzeugt Schmerz. Im Hinblick auf diese grundsätzlichen Fakten sind die nicht-menschlichen Tiere, beispielsweise diejenigen in den Labors und auf den Farmen, den Menschen gleich. Daher müssen der Ethik unseres Umgangs mit ihnen dieselben grundlegenden moralischen Prinzipien zugrunde gelegt werden wie dem Umgang der Menschen untereinander.

Das Fundament, auf dem die menschliche Ethik ruht, ist der eigenständige Wert des Individuums: der moralische Wert eines Menschen darf nicht davon bestimmt werden, wie hilfreich er der Förderung der Interessen anderer Menschen ist. Menschen auf eine Weise zu behandeln, die diesen ihren eigenständigen Wert nicht achtet, heißt, das grundsätzlichste aller Menschenrechte zu verletzen: das Recht jedes Menschen, mit Achtung behandelt zu werden.

Die Philosophie der Tierrechte verlangt nichts anderes als die Anerkennung dieser Logik. Denn jedes Argument, das in plausibler Weise den eigenständigen Wert des Menschen erklärt, bedeutet gleichzeitig, dass andere Tiere denselben Wert besitzen, und zwar im selben Maße wie die Menschen. Ebenso bedeutet jedes Argument, das in plausibler Weise das Recht des Menschen erklärt, mit Achtung behandelt zu werden, dass die anderen Tiere dasselbe Recht besitzen, auch dieses im selben Maße wie die Menschen.

Es ist daher auch eine Tatsache, dass die Frauen nicht dazu existieren, den Männern zu dienen, die Schwarzen nicht dazu, den Weißen, die Armen nicht dazu, den Reichen, und die Schwachen nicht dazu, den Starken zu dienen. Die Philosophie der Tierrechte erkennt diese Tatsachen nicht nur an, sie besteht auf ihnen und rechtfertigt sie. Doch diese Philosophie geht noch weiter. Indem sie auf dem eigenständigen Wert der anderen Tiere und auf deren Rechten besteht und diese rechtfertigt, gibt sie wissenschaftlich untermauerte und moralisch objektive Gründe für die Ablehnung der Meinung, dass diese Tiere dazu existieren, uns zu dienen.

Sobald diese Wahrheit erst einmal anerkannt ist, ist es leicht zu verstehen, weshalb die Philosophie der Tierrechte so kompromisslos ist in ihrem Auftreten gegen jede Art von Ungerechtigkeit gegenüber anderen Tieren.

Was die Gerechtigkeit beispielsweise für Tiere verlangt, die in der Wissenschaft benutzt werden, sind nicht größere und sauberere Käfige, sondern leere Käfige; die Gerechtigkeit verlangt nicht eine „traditionelle“ landwirtschaftliche Tierhaltung, sondern das Ende jeglichen Handels mit dem Fleisch toter Tiere; sie verlangt nicht „menschlichere“ Methoden des Jagens und Fallenstellens, sondern die vollständige Ausmerzung dieser barbarischen Praktiken.

Denn einer absoluten Ungerechtigkeit muss man sich absolut entgegenstellen. Was die Gerechtigkeit verlangte, war nicht „reformierte“ Sklaverei, „reformierte“ Kinderarbeit, „reformierte“ Unterwerfung der Frau. In all diesen Fällen war die einzig moralische Antwort die Abschaffung. Die bloße Reformierung einer absoluten Ungerechtigkeit bedeutet die Verlängerung der Ungerechtigkeit.

Die Philosophie der Tierrechte fordert dieselbe Antwort - Abschaffung - als Reaktion auch auf die ungerechte Ausbeutung anderer Tiere. Nicht Details dieser ungerechten Ausbeutung sind es, die verändert werden müssen. Es ist die ungerechte Ausbeutung selbst, die beendet werden muss, sei es auf den Farmen, in den Labors oder bei den Wildtieren, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Philosophie der Tierrechte verlangt nur dies, sie wird jedoch auch mit nichts Geringerem zufrieden sein.

10 Gründe für Tierrechte und deren Erläuterung

1. Die Philosophie der Tierrechte ist rational.

ERLÄUTERUNG: Es ist nicht rational, willkürlich zu diskriminieren. Und eine Diskriminierung der nicht-menschlichen Tiere ist willkürlich. Es ist nicht richtig, schwächere Menschen, besonders solche, denen nicht die normale menschliche Intelligenz gegeben ist, als „Werkzeuge“ oder „ersetzbare Ressourcen“ oder „Modelle“ oder „Waren“ zu behandeln. Es kann daher ebenso wenig richtig sein, andere Tiere zu behandeln, als wären sie „Werkzeuge“, „Modelle“ u.ä., wenn ihre Psyche doch ebenso reich ist wie die der Menschen (oder gar reicher). Anders darüber zu denken wäre irrational.

„Ein Tier als ein physisch-chemisches System von enormer Komplexität zu beschreiben, ist ohne Zweifel vollkommen korrekt, nur dass dabei das ‚typisch Tierische' des Tieres vergessen wird.“

E.F. Schumacher

2. Die Philosophie der Tierrechte ist wissenschaftlich.

ERLÄUTERUNG: Die Philosophie der Tierrechte respektiert allgemein das Beste, was unsere Wissenschaft zu bieten hat und besonders die Evolutionsbiologie. Die Letztere lehrt, dass, um mit Darwin zu sprechen, der Unterschied zwischen den Menschen und vielen anderen Tieren nur ein Unterschied „des Grades und nicht der Sache“ ist. Lassen wir das Ziehen von Grenzen einmal beiseite, so wird es offensichtlich, dass die Tiere, die beispielsweise in Labors benutzt, zu Nahrungszwecken aufgezogen, zum Vergnügen gejagt oder für den Profit in Fallen gefangen werden, in psychischer Hinsicht unsere Verwandten sind. Das ist keine Phantasie, es ist eine Tatsache, bewiesen von unseren besten Wissenschaftlern.

„Was ihre mentalen Fähigkeiten angeht, so besteht zwischen den Menschen und den höher entwickelten Säugetieren kein fundamentaler Unterschied.“

Charles Darwin

3. Die Philosophie der Tierrechte ist frei von Vorurteilen.

ERLÄUTERUNG: Rassisten sind Menschen, die glauben, dass die Mitglieder ihrer Rasse denen anderer Rassen überlegen sind, einfach weil die Ersteren zu ihrer eigenen (der „höherwertigeren“) Rasse gehören. Sexisten glauben, dass die Mitglieder ihres Geschlechts denen des anderen Geschlechts überlegen sind, einfach weil die Ersteren zu ihrem eigenen (dem „höherwertigeren“) Geschlecht gehören. Sowohl der Rassismus als auch der Sexismus stellen Beispiele einer Selbstgerechtigkeit dar, die nicht unterstützt werden darf. Es gibt weder Geschlechter noch Rassen, die „höherwertiger“ oder „minderwertiger“ sind. Die Unterschiede zwischen den Rassen und Geschlechtern sind biologischer und nicht moralischer Art.

Dasselbe gilt für den Speziesismus - der Meinung, dass die Mitglieder der Spezies Homo sapiens denen aller übrigen Spezies überlegen sind, einfach weil die Menschen ihrer eigenen (der „höherwertigeren“) Spezies angehören. Denn es gibt keine „höherwertigere“ Spezies. Anders darüber zu denken hieße, ebensolche Vorurteile zu haben, wie die Rassisten oder Sexisten sie haben.

„Wenn man das Töten zum Zwecke des Fleischessens rechtfertigen kann, dann kann man auch die Bedingungen in einem Ghetto rechtfertigen. Ich kann beides nicht rechtfertigen.“

Dick Gregory

4. Die Philosophie der Tierrechte ist gerecht.

ERLÄUTERUNG: Die Gerechtigkeit stellt den höchsten Grundsatz der Ethik dar. Wir dürfen nicht, um etwas Gutes zu erreichen, Ungerechtigkeiten ausüben oder zulassen; wir dürfen nicht, um Vielen zu nützen, die Rechte Weniger verletzen. Die Sklaverei hat dies zugelassen. Die Kinderarbeit hat es zugelassen. Die meisten Arten der sozialen Ungerechtigkeit lassen es zu. Nicht so die Philosophie der Tierrechte, deren höchster Grundsatz die Gerechtigkeit ist: niemand hat das Recht, Nutzen zu ziehen aus der Verletzung der Rechte anderer, seien diese „anderen“ nun Menschen oder andere Tiere.

„Die Gründe für das rechtliche Vorgehen im Sinne der Kinder gelten nicht weniger im Falle dieser unglücklichen Sklaven - der (anderen) Tiere.“

John Stuart Mill

5. Die Philosophie der Tierrechte ist eine Philosophie des Mitgefühls.

ERLÄUTERUNG: Ein erfülltes menschliches Leben verlangt Einfühlungsvermögen und Mitleid - in einem Wort, Mitgefühl - gegenüber den Opfern von Ungerechtigkeit, seien diese Opfer nun Menschen oder andere Tiere. Die Philosophie der Tierrechte fordert die Tugend des Mitgefühls, und die Anerkennung dieser Philosophie fördert diese Tugend. Diese Art der Philosophie ist in den Worten Lincolns „das, was einen vollkommenen Menschen ausmacht“.

Gelebtes Mitgefühl ist vielleicht diese wundervolle Möglichkeit, unseren überfüllten, verschmutzten Planeten zu schützen ...“

Victoria Moran

6. Die Philosophie der Tierrechte ist uneigennützig.

ERLÄUTERUNG: Die Philosophie der Tierrechte fordert ein Engagement im Dienste der Schwachen und Verletzlichen - im Dienste derer, die, seien es nun Menschen oder andere Tiere, nicht die Möglichkeit haben, für sich selbst sprechen oder sich selbst verteidigen zu können, und die des Schutzes vor der menschlichen Gier und Gefühllosigkeit bedürfen. Diese Philosophie fordert ein solches Engagement, und sie tut dies nicht, weil es in unserem eigenen Interesse wäre, sondern weil es richtig ist. Diese Art der Philosophie fordert daher eine uneigennützige Unterstützung, und die Anerkennung dieser Philosophie fördert eine solche Art der Unterstützung.

„Wir brauchen eine moralische Philosophie, in der das Konzept der Liebe, welches heutzutage von den Philosophen so selten erwähnt wird, wieder ein zentrales Thema darstellt.“

Iris Murdoch

7. Die Philosophie der Tierrechte ist etwas, das den Einzelnen erfüllt.

ERLÄUTERUNG: All die großen Traditionen der Ethik, sowohl der sekularen als auch der religiösen, unterstreichen die Bedeutung der folgenden vier Dinge: Wissen, Gerechtigkeit, Mitgefühl und Selbstbestimmung. Die Philosophie der Tierrechte macht dabei keine Ausnahme. Diese Philosophie lehrt, dass unsere Entscheidungen auf Wissen beruhen, dem Mitgefühl und der Gerechtigkeit Ausdruck verleihen und freiwillig getroffen werden sollten. Es ist nicht leicht, diese Tugenden zu erreichen und den menschlichen Hang hin zu Gier und Gleichgültigkeit zu steuern. Ein vollkommenes menschliches Leben ist jedoch ohne sie nicht möglich. Die Philosophie der Tierrechte fordert die Selbstverwirklichung für den Einzelnen, und die Anerkennung dieser Philosophie fördert eine solche Selbstverwirklichung.

„Menschlichkeit ist kein totes, von außen erteiltes Gebot, sondern ein lebendiger Impuls, der von innen kommt; sie bedeutet nicht Selbstaufopferung, sondern Selbstverwirklichung.“

Henry Salt

8. Die Philosophie der Tierrechte ist sozial fortschrittlich.

ERLÄUTERUNG: Das größte Hindernis für das Florieren der menschlichen Gesellschaft stellt die Ausbeutung anderer Tiere durch die Hand des Menschen dar. Dies gilt für die ungesunde Ernährung, für das gewohnheitsmäßige Vertrauen auf das „ganzheitliche Tiermodell“ in der Wissenschaft und für die vielen anderen Formen, die die Ausbeutung der Tiere annimmt. Und es gilt ebenso für beispielsweise die Erziehung und die Werbung, die mit dazu beitragen, die menschliche Psyche gegenüber den Forderungen der Vernunft, der Unvoreingenommenheit, des Mitgefühls und der Gerechtigkeit abzustumpfen. Auf all diese (und weitere) Arten bleiben die Nationen zutiefst rückständig, weil sie es versäumen, den wahren Interessen ihrer Bürger zu dienen.

„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.“

Mahatma Gandhi

9. Die Philosophie der Tierrechte ist eine Philosophie im Sinne der Umwelt.

ERLÄUTERUNG: Die Hauptursache für die Schädigung der Umwelt, einschließlich beispielsweise des Treibhauseffekts, der Wasserverschmutzung und des Verlustes an sowohl Ackerland als auch Mutterboden, besteht in der Ausbeutung der Tiere. Dasselbe gilt für das gesamte breite Spektrum an Umweltproblemen, vom sauren Regen und der Einleitung giftiger Abfälle in die Ozeane bis hin zur Luftverschmutzung und der Zerstörung der natürlichen Lebensräume. Für all diese Fälle gilt, dass ein Handeln zum Schutz der betroffenen Tiere (die schließlich die Ersten sind, die leiden und durch diese Umweltprobleme ihr Leben verlieren) ein Handeln zum Schutz der Erde ist.

„Solange wir nicht ein Gefühl der Verwandtschaft zwischen unserer eigenen Spezies und jenen anderen Sterblichen entwickeln, die mit uns die Schatten- und die Sonnenseiten des Lebens auf diesem gequälten Planeten teilen, gibt es keine Hoffnung für andere Spezies, keine Hoffnung für die Umwelt und keine Hoffnung für uns selbst.“

Jon Wynne-Tyson

10. Die Philosophie der Tierrechte ist friedliebend.

ERLÄUTERUNG: Die grundlegende Forderung der Philosophie der Tierrechte ist die nach einer Behandlung der Menschen und der anderen Tiere mit Achtung. Um dies umzusetzen, ist es erforderlich, dass wir niemandem einfach nur deshalb schaden, um für uns selbst oder andere einen Nutzen daraus zu ziehen. Diese Philosophie lehnt daher militärische Aggressionen vollkommen ab. Es ist eine Philosophie des Friedens. Doch es ist auch eine Philosophie, die die Forderung nach Frieden über die Grenzen unserer eigenen Spezies hinausträgt. Denn täglich wird ein Krieg geführt, ein Krieg gegen zahllose Millionen nicht-menschlicher Tiere. Aufrichtig für den Frieden einzustehen, heißt, entschlossen den Speziesismus abzulehnen. Zu glauben, dass es „Frieden auf der Welt“ geben könnte, wenn wir es nicht schaffen, uns friedlich gegenüber den anderen Tieren zu verhalten, ist bloßes Wunschdenken.

„Sollte durch irgendein Wunder in all unserem Kämpfen der Erde der nukleare Holocaust erspart bleiben, wird nur Gerechtigkeit gegenüber allen lebenden Wesen die Menschheit retten können.“
Alice Walker


Tom Regan, Professor für Philosophie in North-Carolina/USA, ist einer der bedeutendsten Denker der amerikanischen Tierrechtsbewegung.

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