Grausame Vergnügungen

Leo Tolstoi (1828–1910)

Die Fleischesser

In allen moralischen Lehren existiert eine Treppe, die von der Erde zum Himmel führt; ein Aufstieg ist nicht anders möglich als dass man bei der ersten Stufe beginnt...

Alle Moralisten erkennen die Notwendigkeit an, dass man sich die Tugenden nur fortschreitend und methodisch aneignen kann.

Aber - wie merkwürdig - seit das Christentum sich gewandelt hat, so dass es nur noch als Kirche verstanden wird, erlöscht das Bewusstsein dieser Notwendigkeit allmählich und nur die Asketen und Mönche bewahren es sich.

Nach Plato war die Enthaltsamkeit die erste Eigenschaft, die es zu erringen galt. Danach kamen die Tapferkeit, die Weisheit und die Gerechtigkeit. Die Doktrin Jesu Christi lehrte ein weiteres Fortschreiten: das Opfer, die Treue zum göttlichen Willen und über allem die Liebe.
Nicht alle Menschen betrachten die Lehre Christi als ein fortwährendes Streben nach Vollkommenheit; die Mehrheit hat sie aufgefasst als eine erlösende Lehre; die Vergebung der Sünden durch die göttliche Gnade, vermittelt durch die Kirche, unter den Katholiken und Orthodoxen, und den Glauben an die Erlösung unter den Protestanten und Calvinisten.
Diese Lehre hat die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit der Tätigkeit der Menschen bezüglich der christlichen Moral zum Verschwinden gebracht. Die Vertreter dieser Körperschaften werden bis zum Überdruss predigen können, dass solche Mittel der Rettung den Menschen nicht daran hindern, sich um ein moralisches Leben zu bemühen, sondern dass sie ihn im Gegenteil dazu hinführen; aber gewisse Situationen erzeugen durch sich gewisse Schlussfolgerungen.
Das ist der Grund, warum der Mensch, der durchdrungen ist von diesem Glauben an die Erlösung, nicht genug Energie haben wird, um seine Rettung durch seine eigenen Kräfte zu erwirken: er wird es viel einfacher finden, das Dogma, das man ihn gelehrt hat, anzunehmen und zu hoffen, dass die göttliche Gnade ihm die Fehler, die er hat begehen können, vergibt. Das ist die Hauptursache der Erschlaffung der Sitten und der Sittenlosigkeit.
Die Lüge ist das Gesetz der ganzen Gesellschaft.
Ohne Enthaltsamkeit ist ein moralisches Leben nicht möglich. Um ein moralisches Leben führen zu können, muss man diese Tugend besitzen.
Ja, in der christlichen Lehre wird die Enthaltsamkeit als Begriff der Selbstverleugnung, der Entsagung verstanden, und keine christliche Tugend ist möglich ohne die Enthaltsamkeit.
Aber diese Tugend erreicht man nicht auf einmal, es bedarf eines Fortschreitens, der Übung darin.
Die Enthaltsamkeit bedeutet die Befreiung des Menschen von der Unzüchtigkeit und seine Unterwerfung unter die Klugheit. Der Mensch hat zahlreiche Leidenschaften, und um mit Erfolg zu kämpfen, muss er bei den grundlegenden beginnen, bei jenen, die andere, kompliziertere, erzeugen, und nicht bei diesen letzteren beginnen, die nur die Folge der ersten sind.
Es gibt komplizierte Leidenschaften wie diejenigen der Prachtliebe (Luxus), das Spiel, die Vergnügungen, die Scharlatanerie, die Neugier, und es gibt andere, grundlegende: die Gefräßigkeit, den Müßiggang, die Unzucht. ...
Der gefräßige Mensch ist unfähig, gegen die Faulheit anzukämpfen, und der Müßiggänger und Vielfraß wird gleichzeitig nie gegen die Leidenschaften gegenüber dem weiblichen Geschlecht kämpfen können. Das ist der Grund, warum, nach allen Lehren, die Bestrebungen in Richtung auf Enthaltsamkeit mit dem Kampf gegen die Freßsucht beginnen, also mit dem Fasten.
In unserer Gesellschaft ist die erste Tugend, die Enthaltsamkeit, absolut vergessen, und unbekannt ist, dass es der Übung darin bedarf, um diese Tugend zu erlangen. Niemand denkt ans Fasten; man betrachtet es als dummen Aberglauben und absolut unnütz.
Indessen ist gerade das Fasten die erste Bedingung für die Enthaltsamkeit, wie die Enthaltsamkeit die erste Bedingung für ein moralisches Leben ist.
Man kann wünschen, gut zu sein, und träumen, dass man das Gute tut ohne zu fasten; aber in Wirklichkeit ist dies so unmöglich wie zu gehen, ohne mit den Beinen auf dem Boden zu stehen.
Die Freßsucht ist hingegen das erste Anzeichen für ein liederliches Leben, und unglücklicherweise markiert dieses Anzeichen die Mehrheit der Menschen unserer Zeit.
Schaut die Gesichter und Leiber der Menschen unserer Gesellschaft an. Alle diese Gesichter mit den Bärten und herabfallenden Wangen, die ziemlich dicken Glieder und der hervorstehende Bauch sprechen von einem liederlichen Leben. Wie könnte es anders sein? Fragt ihr, was die Hauptantriebskraft ihres Lebens ist? So seltsam  euch dies vorkommen mag als Hauptantriebskraft der Mehrheit der Menschen unserer Gesellschaft: es ist die Befriedigung des Gaumens, die Befriedigung beim  Essen, die Gefräßigkeit.

Von den Ärmsten bis zu den Reichsten stellt das Fressen das Hauptziel ihrer Existenz dar.

Die Arbeiterschaft bildet nur deshalb eine Ausnahme - im Durchschnitt -, weil die Not sie daran hindert, sich einer so niedrigen Passion hinzugeben. So bald sie die Mittel und Zeit hat, ahmt sie das nach, was die oberen Klassen machen, besorgt sich die köstlichsten Speisen und isst und trinkt soviel sie kann.
Je mehr sie essen kann, umso glücklicher kommt sie sich vor, umso stärker und gesünder. Die oberen Klassen bestärken sie in dieser Überzeugung.
Seht das Leben der Reichen; hört ihre Gespräche. Welche erhabenen Angelegenheiten interessieren sie! Die Philosophie, die Wissenschaft, die Kunst und die Dichtkunst, die Verteilung des Reichtums, das Wohlergehen des Volkes, die Erziehung der Jugend; aber in Wirklichkeit ist alles leeres Geschwätz. Sie reden davon nebenbei, zwischen ihren wahren Beschäftigungen und den Mahlzeiten, wenn sie den Magen voll haben und nicht noch mehr essen können.
Das einzige, wahre Interesse der Männer und der Frauen, vor allem, seit ihre Jugend vergangen ist, ist das Essen. Wie essen? Was essen? Wann? Wo? Es gibt keine Festlichkeit, kein freudiges Ereignis, keine Einweihung , die nicht mit einem Bankett gefeiert werden.
Seht die Reisenden. An ihnen sieht man am besten, was ich sage. "Museen, Bibliotheken, Parlamente, wie interessant ist dies! Und wo werden wir essen? Wo isst man am besten?" Blickt auf die Menschen, wenn sie sich versammeln zum Essen, und ihr werdet sie gut gekleidet sehen, parfümiert, um einen Tisch, der mit Blumen geschmückt ist. Mit welcher Freude reiben sie sich die Hände und lächeln!
Wenn man ins Innere der Seele blicken würde, um zu wissen, was die Mehrheit der Menschen ersehnt, so würde man sehen, dass es das Stillen ihres Appetits ist. Worin besteht die grausamste Strafe seit der Kindheit? Dass man zu Brot und Wasser verurteilt ist! Welches ist der am besten bezahlte Angestellte? Der Koch!
Wovon spricht die Mehrheit der Frauen der Mittelklasse, wenn sie zusammenkommen? Sie reden nur von der Ernährung, vom Preis der Schnepfen, von der besten Art, Kaffee, Krapfen und Gebäck zu machen.
Welcher Anlass auch gegeben ist, zu dem sich Menschen treffen, Hochzeit, Taufe, Beerdigung, Weihe eines Tempels, Empfang eines Reisenden, geselliges Beisammensein, Präsentieren der Fahne, Hochschulfest, Tod oder Gedenkfeier eines großen Weisen, eines Denkers, eines Moralisten - man müsste annehmen, dass dabei von den erhabensten Dingen gesprochen wird, aber nein, sie sind nur ein Vorwand, denn alle wissen, dass man gut essen wird, dass man trinken wird, und dass man deshalb zusammengekommen ist.
Viele Tage vor diesem Fest werden Vögel und andere Tiere geopfert, Körbe von Lebensmitteln werden herbeigeschafft, und die Köche, die Gehilfen und Küchenjungen mit ihren weißen Schürzen "arbeiten" angestrengt und übereifrig. Die Köche, die 500 Rubel im Monat einsacken, geben die Befehle;  und ihre Gehilfen tranchieren, rühren, kneten, waschen, richten an und verzieren. Die Hausmeister berechnen und prüfen alles mit feierlicher Miene, wahren Künstlern gleich. Der Gärtner besorgt die Blumen, die Hausmädchen das Tafelgeschirr. Ein ganzes Heer von Bediensteten ist bei der Arbeit. Was in Tausenden von Arbeitstagen geschaffen wurde, wird ausgegeben, um das Andenken eines großen Mannes oder eines verstorbenen Freundes zu ehren, oder um die Vermählung zweier junger Menschen zu feiern.
In den mittleren oder unteren Klassen geschieht dasselbe. ...
Die Befriedigung eines Bedürfnisses hat Grenzen, die Lust nicht. Um dem Magen das Seine zu geben, genügt es, Brot, Suppen oder Reis zu essen; während es, um die Eßsucht zu befriedigen, keine Grenze für Soßen und andere Zutaten gibt.
Das Brot ist ein notwendiges und ausreichendes Nahrungsmittel; und der Beweis liegt darin, dass Millionen starke, leichtgewichtige, gesunde Menschen nur von Brot leben und noch viel arbeiten.
Aber die Gier empfiehlt, dass es besser ist, das Brot mit anderen Lebensmitteln zu vermischen. Es ist besser, es einzutunken in eine Fleischbrühe. Es empfiehlt sich auch, dieser Brühe verschiedene Gemüse beizumengen; und noch besser, Fleisch zu essen, und nicht gekocht, sondern gebraten, mit Butter und Senf, und alles besprengen mit Rotwein.
Man hat keinen Hunger mehr; aber noch kann man Fisch mit Soße essen, und als Begleitung Weißwein trinken.
Wenn es scheint, als ob man nichts mehr essen könne, weder Schmalz noch Fleisch, dann geht man über zum Nachtisch. Im Sommer Eis; im Winter Kompott, Konfitüren usw., usw.  Das Gefallen, das dieses Essen bereitet, kann man noch vermehren, und das geschieht. Man nimmt Aperitive und Zwischenmahlzeiten, und es werden einem jede Art Leckerbissen vorgesetzt - etwas fürs Auge und für die Ohren, Blumen, Schmuck, Musik.
Und wie einzigartig! Die Menschen, die täglich so speisen, und gegenüber deren Mahlzeiten der Festschmaus von Baltasar, der den göttlichen Zorn hervorrief, sich nur aus Speiseresten zusammensetzte, sind arglos und einfältig der Überzeugung, dass man trotzdem ein moralisches Dasein führen kann.
Es gibt keinen Geruch, so ekelhaft er auch sein mag, an den der Mensch sich nicht gewöhnt. Es gibt keinen Lärm, an den er sich nicht gewöhnt, noch eine Schurkerei, über die er nicht gleichgültig hinwegsieht Dasselbe geschieht im Bereich der Moral .Vor kurzem besuchte ich die Schlachthäuser von Tula. Sie sind nach einem neuen, verbesserten Modell gebaut, wie in den großen Städten, auf eine Weise, daß die toten Tiere am wenigsten leiden.                                                                                   

Schon vor langer Zeit, als ich das ausgezeichnete Buch „Ethics of Diet“ las, entstand in mir der Wunsch, Schlachthöfe zu besuchen. Ich verschob die Besichtigung immer.                                                      

Aber kürzlich traf ich unterwegs einen Metzger, der nach Tula ging. Es war ein einfacher Arbeiter ohne besondere Ausbildung, und seine Aufgabe bestand darin, den Todesstoß auszuführen. Ich fragte ihn, ob ihm das Vieh nicht Leid tue.                                                                                                                                        „Was hätte ich davon? So wie es ist, muß ich es töten.“                                                                                    Aber als ich ihm sagte, dass es nicht notwendig ist, Fleisch zu essen, das ein Luxusnahrungsmittel ist, gab er mir recht. "Aber was soll ich machen? Man muß sich ja den Lebensunterhalt verdienen. Vorher hatte ich Angst vor dem Töten; mein Vater tötete nie, nicht einmal ein Huhn.“                                                       In der Tat widerstrebt es der Mehrheit der Russen, zu töten. Es tut ihnen leid, und sie drücken dieses Gefühl aus mit dem Wort „Angst“. Auch er hatte Angst gehabt, hatte aber aufgehört, Angst zu haben, und er erklärte mir, daß der Freitag der Tag mit der meisten Arbeit sei.                                                                  

Vor kurzem unterhielt ich mich mit einem Soldaten, der Fleischhauer war. Er wunderte sich ebenfalls, als ich ihm sagte, daß es ein Jammer sei zu töten. Er erwiderte mir, daß es sich um eine notwendige Gewohnheit handle; aber zum Schluß gab er zu, daß es einem leid tun müsse, und fügte hinzu:                 

„Vor allem wenn das Vieh sich schicksalsergeben und zahm verhält, wenn es voller Vertrauen zu jenem geht, der ihm die Kehle durchschneidet. Ja, das flößt einem viel Mitleid ein.“                                            

Es ist schrecklich! Schrecklich sind in Wirklichkeit nicht nur die Leiden und der Tod des Viehs, sondern die Tatsache, daß der Mensch ohne jedwede Notwendigkeit sein gehobenes Gefühl des Mitleids mit lebenden Wesen wie er selbst zum Verstummen bringt und grausam wird, seinen natürlichen Widerwillen überwindet. Wie tief steckt im Herzen des Menschen das Verbot, ein lebendes Wesen zu töten!                                                                                                                                                

Eines Tages kehrten wir von Moskau zurück. Einige Erntearbeiter nahmen uns in ihren Gefährten mit. Es war Gründonnerstag; ich saß hinten im Wagen. Der Fuhrmann war kräftig, Sanguiniker, plump: offensichtlich war er ein Bauer, der dem Trunke ergeben war.                                                                     

Wir kamen in ein Dorf und sahen ein Mastschwein, weiß-rosa, das sie aus einem Anwesen zerrten, um es zu töten. Es quiekte auf verzweifelte Weise, mit Schreien, die menschlich erschienen. Genau in dem Augenblick, als wir vorbeikamen, fingen sie an, es niederzumetzeln. Ein Mann stieß ihm das Messer in die Kehle. Das Grunzen des Schweins wurde stärker und schriller. Das Tier riss sich los, triefend vor Blut. Ich bin kurzsichtig und sah nicht alle Einzelheiten der Szene. Ich sah nur einen Körper, rosig wie der eines Menschen, und ich hörte das verzweifelte Grunzen. Der Kutscher beobachtete alles, ohne den Blick abzuwenden. Sie ergriffen das Schwein erneut, warfen es zu Boden und töteten es wieder. Als seine Schreie aufhörten, sagte der Kutscher mit einem tiefen Seufzer:                                                             

„Wie kann Gott dies zulassen?“                                                                                                                     Dieser Ausruf zeigt den tiefen Abscheu, den das Töten dem Menschen einflößt. Aber das Beispiel, die Gewohnheit des Sichvollfressens, die Bejahung, dass Gott solche Dinge zulässt, bewirken, dass die Menschen dieses natürliche Gefühl vollständig verlieren.                                                                         

Es war ein Freitag. Ich befand mich in Tula und traf einen Freund, einen guten und feinfühligen Menschen, und fragte ihn, ob er mich zum Schlachthaus begleiten wolle.                                                 

„Ja, ich habe gehört, daß er sehr gut ausgestattet ist; aber wenn sie schlachten, werde ich nicht hingehen.“                                                                                                                                                    „Und warum nicht? Genau das ist es, was ich sehen will. Wenn man schon Fleisch isst, muss man sehen, wie man das Vieh schlachtet.“                                                                                                        

„Nein, ich kann nicht.“                                                                                                              

Es ist anzumerken, daß mein Freund Jäger ist und deshalb ebenfalls tötet.                                                  

Wir kamen an. Kaum waren wir am Tor angelangt, nahmen wir einen starken, widerlichen Geruch von Verwesung wahr.
Je weiter wir gingen, desto stärker der Geruch. Das Gebäude ist aus roten Backsteinen erbaut, mit Gewölben und hohen Kaminen. Wir traten durch die Garagentür ein. Zur Rechten ist ein großer runder Hof, ein Viertel Hektar groß. Er füllt sich zweimal in der Woche mit dem verkauften Vieh. Am Ende dieses Hofes ist die Verwaltung, zur Linken sind zwei Hallen mit spitzbogigen Toren.Der Boden ist aus Asphalt; er ist zweigeteilt und schräg, und dort gibt es besondere Vorrichtungen, um die toten Tiere aufzuhängen.                                                                                                                                       

Neben dem Verwaltungstrakt saßen auf einer Bank sechs Schlachter. Ihre Schürzen waren blutbespritzt, auch ihre Ärmel waren blutig, hochgekrempelt, ließen ihre kräftigen Muskeln sehen. Sie hatten ihre Arbeit schon eine halbe Stunde vorher beendet, so daß wir an diesem Tag nur die leere Halle sahen.                                                                                                                                           Trotz der offenen Türen herrschte ein Ekel erregender Gestank von heißem Blut. Der Boden war dunkel, glänzend, und in den Ablaufrinnen floß geronnenes Blut.                                                                      Einer der Metzger erklärte uns, wie geschlachtet wird und zeigte uns den Ort, wo dies geschieht. Ich verstand nicht alles und machte mir eine falsche, aber schreckliche Vorstellung vom Enthaupten. Ich dachte, wie es oft vorkommt, dass die Wirklichkeit weniger Eindruck auf mich machen würde als das, was ich mir eingebildet habe, aber es war ein Irrtum.                                                                                   Ein anderes Mal kam ich zu früher Stunde am Schlachthof an. Es war der Freitag vor Pfingsten, ein heißer Junitag. Der Blutgeruch war noch stärker wie beim anderen Mal und man arbeitete mit Hochdruck. Der große Hof war voller Schlachtvieh, und auch in den Schuppen neben der zentralen Halle befanden sich viele Tiere.                                                                                                                 Auf der Straße fuhren Wagen voller Ochsen, Kühe und Kälber heran.                                                           Auf anderen Wagen, gezogen von stämmigen Pferden, waren lebende Kälber aufeinandergehäuft, die Klauen nach oben. Sie fuhren in den Schlachthof und wurden abgeladen.                                                    Es gab noch andere Gefährte mit toten Ochsen, deren Füße sich im Takt bewegten, den Erschütterungen des Fahrzeugs entsprechend. Regungslos die Köpfe, rot die Lungen, bräunlich die Leber.                                                                                                                                                        Neben der Einfriedung waren Reitpferde, die den Viehzüchtern gehörten. Diese, mit ihren weiten Hemden und der Peitsche in der Hand, gingen und kamen oder bezeichneten mit Teer die Rinder, die ihnen gehörten. Sie feilschten um die Preise und überwachten die Viehtransporte, von dem umzäunten Gelände zu den Schuppen, und von dort zur großen Halle.                                                        Alle diese Leute schienen sich nur um ihre Geschäfte zu kümmern und keiner stellte sich die Frage, ob es eine gute oder schlechte Sache wäre, diese Rinder zu töten. Sie dachten ebenso wenig daran, wie sie sich um die chemische Zusammensetzung des Blutes kümmerten, das auf den Boden rann.                     Im äußeren Hof waren keine Metzger. Alle waren bei der Arbeit. An jenem Tag schlachteten sie ungefähr hundert Ochsen.                                                                                                                             Ich trat in die Haupthalle ein und blieb am Tor stehen. Ich blieb stehen, weil im Innern kaum noch Platz war wegen des Viehs, das dort zusammengetrieben war und weil das Blut vom Dach tropfte und die Metzger bespritzte. Wäre ich ganz eingetreten, wäre auch mein Anzug voller Blutflecken geworden.                                                                                                                                       Einige Männer nahmen ein Rind vom Haken, andere ließen ein anderes über eine Bahn rutschen , und dort war ein toter Ochse mit weißen Klauen, den ein Schlachter abhäutete.                                                      Durch das Tor gegenüber kam ein roter und dicker Ochse herein. Man schleifte ihn. Kaum war er über der Schwelle, verwundete ihn einer der Schlächter, der mit einer langstieligen Axt bewaffnet war, am Hals. Als ob man ihm plötzlich alle vier Füße weggeschnitten hätte, fiel der Ochse schwer auf den Boden, drehte sich auf die Seite und bewegte krampfhaft die Beine und den Schwanz. Dann warf sich ein Schlächter auf ihn, nahm ihn bei den Hörnern, drückte den Kopf auf den Boden, und ein anderer Schlächter schnitt ihm die Kehle durch. Aus der offenen Wunde schoss das Blut, das von dunklem Rot war, wie aus einer Quelle, und ein Bub fing es in einer metallenen Schüssel auf. Unterdessen hörte der Ochse nicht auf sich zu bewegen und den Kopf zu schütteln und krampfartig mit den Füßen zu zucken.                                                                                                                                                    Die Schüssel füllte sich rasch, aber der Ochse lebte noch und schlug weiter die Luft mit den Klauen, was die Fleischhauer zwang, zur Seite zu gehen. Sobald die Schüssel gefüllt war, setzte der Bub sie sich auf den Kopf und trug sie zur Eiweißstoff-Fabrik, während ein anderer Bub mit einer weiteren Schüssel herankam, die ihrerseits gefüllt wurde.                                                                                       Der Ochse lief sich weiter verzweifelt die Beine ab. Als das Blut aufhörte zu fließen, hob der Metzger das Haupt des Ochsen auf und fing an, ihm buchstäblich das Fell über die Ohren zu ziehen, das heißt ihn  zu enthäuten. Das Tier bewegte sich noch. (Anmerkung des Übersetzers: Das ist nicht etwa ein Einzelfall. Er hat selbst zusehen müssen, wie eine Ziege am Galgen enthäutet wurde, während sie noch lebte.)
Es hatte den Kopf schon enthäutet, rot, mit den weißen Adern, und nahm die Stellung ein, die ihm die Schlächter gaben. Das Fell hing zu beiden Seiten herab, und der Ochse hörte nicht auf, sich zu bewegen. Ein anderer Metzger nahm dann den Ochsen bei einem Bein, brach es und kürzte es: der Bauch und die anderen Beine  erzitterten mit Krämpfen. Danach kürzten sie die anderen Glieder und warfen sie auf einen Haufen zu den Beinen der anderen Ochsen des gleichen Viehzüchters. Dann schleiften sie den Ochsen zu einer Laufrolle und hängten ihn auf. Von da an gab der Ochse kein Lebenszeichen mehr.                                                                                                                                    Ich sah, wie auf dieselbe Art und Weise drei weitere Ochsen geschlachtet wurden. Bei allen gingen sie auf gleiche Weise vor. Allen schnitten sie den Kopf ab, dessen Zunge zwischen den Zähnen heraushing. Der Unterschied bestand darin, dass dem Metzger der Schlag nicht immer gelang. Der Ochse widersetzte sich, brüllte und versuchte, von Blut triefend, den Händen der Fleischer zu entkommen. Dann schleiften sie ihn in die Mitte des Schlachtschiffes, verletzten ihn von neuem und er fiel.                                                                                                                                                                 Ich kehrte um und näherte mich dem anderen Tor, und ich sah, wie die gleiche Operation wiederholt wurde, aber aus größerer Nähe und mit größerer Klarheit. Ich sah vor allem, was ich vom anderen Standort aus nicht hatte sehen können: auf welche Weise man die Tiere dazu brachte, in die Halle hereinzukommen. Jedes Mal, wenn sie einen Ochsen unter dem Vordach ergriffen und ihn herzerrten mit einem Seil, das um die Hörner gewickelt war, leistete das Tier, welches das Blut roch, Widerstand, brüllte und wich zurück. Zwei Männer hätten es nicht gewaltsam herziehen können, und deshalb näherte sich dann einer der Schlächter, ergriff den Ochsen beim Schwanz, drehte ihn um und brach einen Wirbel. Das Tier ging furchtsam vorwärts.                                                                                                Wenn sie mit den Ochsen eines Viehzüchters fertig waren, kamen die des nächsten an die Reihe.                  Das erste Tier dieses neuen Viehzuchtbetriebes war ein schöner, kräftiger Stier, schwarz gescheckt; ein junges, muskulöses, energisches Tier. Sie zogen den Stier am Strick, er senkte den Kopf und blieb fest entschlossen stehen, aber der Metzger trat hinter ihn, und wie ein Schmied, der den Griff eines Blasebalgs hält, ergriff er den Schwanz und drehte ihn um. Die Wirbel krachten, der Stier griff an und warf jene, die das Seil hielten, zu Boden. Dann blieb er von neuem stehen und schaute mit seinen schwarzen Augen voll Feuer nach beiden Seiten. Von neuem knirschte der Schwanz, der Stier bewegte sich vorwärts — und war dort, wo man ihn haben wollte.Der Schlachter kam heran, stieß zu und verletzte ihn. Doch war der Stoß schlecht geführt, er ließ das Rind nicht stürzen, das kräftig das Haupt schüttelte, brüllte und sich blutend und wütend losmachte und sich nach hinten warf. Alle, die an dem Tor waren, flohen, aber die Schlachter, gewöhnt an die Gefahr, bemächtigten sich rasch des Strickes, brachen von neuem den Schwanz, und erneut befand sich der Stier in der Halle, an dem gewünschten Ort. Er konnte nicht mehr entkommen. Der Schlachter stieß rasch zu, fand die Stelle, die er wollte, und das schöne Tier, voller Leben, fiel zu Boden, bewegte das Haupt und die Beine, während sie ihm die Kehle durchschnitten und es enthäuteten.                                                                                    „Verfluchter Teufel! Er ist nicht dort gestürzt, wo es vorgesehen war“, murmelte der Metzger und schnitt dem Kopf die Haut ab.                                                                                                                        Fünf Minuten danach war der schwarze Kopf rot, und jene Augen, die fünf Minuten vorher mit solcher Kraft gestrahlt hatten, schienen glasig und erloschen.                                                                                        Dann ging ich zu der Stelle, wo sie die Hammel töteten. Es war eine große Halle mit Asphaltboden und Tischen mit Rückenlehnen, auf denen man die Hammel und Kälber schlachtete. In jener mit dem Geruch des Blutes imprägnierten Räumlichkeit war die Arbeit getan, und es waren nur noch zwei Metzger da. Einer von ihnen rieb mit der Hand den angeschwollenen Bauch des Tieres. Der andere, noch ein Bursche, hatte die Schürze voller Blut, er reichte eine Zigarette.                                                      Ein Mann folgte mir, der ein alter Soldat zu sein schien. Er trug ein schwarzes Lämmchen, das gerade einen Tag alt war. Es hatte einen Fleck an der Kehle, die Beine waren gefesselt, und der Mann legte es auf einen Tisch.                                                                                                                                          Der Soldat, der — wie zu erfahren war — viele Male an diesen Ort gekommen war, wünschte guten Tag und begann ein Gespräch, wobei er erklärte, daß er seinen Vorgesetzten um Erlaubnis fragen müsse. Der Bursche mit der Zigarette näherte sich, mit einem Messer in der Hand. Das lebende Lamm war so unbeweglich wie der tote, aufgeblähte Hammel, mit dem Unterschied, daß sich seine Rippen schneller als sonst bewegten. Der Soldat legte ohne jede Anstrengung den Kopf des Tierchens auf den Tisch, und der Metzger, ohne seine Rede zu unterbrechen, ergriff mit der linken Hand den Kopf des Lammes und schnitt ihm die Kehle durch. Das Opfer schüttelte sich, der Schwanz stellte sich auf, und jede Bewegung hörte auf. Der Metzger zündete, während das Blut herablief, von neuem eine Zigarette an. Als das Blut herausgelaufen war, bewegte sich das Lamm von neuem, und die Konversation wurde, ohne auch nur einmal unterbrochen zu werden, fortgesetzt.
Und die Hühner und Hähnchen, die zu Tausenden täglich in den Küchen geopfert werden und die mit abgeschnittenen Köpfen, Blut verströmend, erschaudern und mit den Flügeln schlagen auf eine ebenso komische wie schreckliche Weise!                                                                                               Und trotzdem, die Hausherrin, im Herzen sensibel wie dieses Geflügel, aber sich in ihrem Recht vollkommen sicher wähnend, bekräftigt zwei Meinungen, die sich widersprechen: die erste, so delikate, wonach ihr Arzt  ihr versicherte, dass sie eine reine pflanzliche Ernährung nicht vertrage und dass ihr schwacher Organismus Fleisch braucht; die zweite, so gefühlvolle, dass sie nicht will, dass Tiere ihretwegen leiden, und dass sie den Anblick ihrer Leiden nicht ertragen kann.                                          In Wirklichkeit ist diese arme Frau schwach, weil man sie daran gewöhnt hat, sich von Lebensmitteln zu ernähren, die der menschlichen Natur entgegengesetzt sind. Und sie kann es nicht lassen, Tiere leiden zu machen, aus dem einfachen Grund, weil man sie isst.

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