Offener Brief von RA Dr. Eisenhart von Loeper an die Bundeskanzlerin

Dr. EISENHART v. LOEPER

RECHTSANWALT

Hinter Oberkirch 10
72202 Nagold
Tel. 07452-4995
e.vonloeper@t-online.de

 

25. Mai 2018

Offener Brief an Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

Ihr gestörtes Verhältnis zum Tierschutz


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

als politisch interessierter Mensch, der sich seit Jahren aktiv und auch an führender Stelle für den Tierschutz einsetzt, verfolge ich selbstverständlich auch Ihre Äußerungen und Entscheidungen als öffentliche Person in Ihrer Rolle als Bundeskanzlerin und als Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union. Vom TV-Duell der Bundestagswahl 2013 ist mir u.a. Ihr Satz „Sie kennen mich" im Gedächtnis geblieben, mit dem Sie u.a. auch um mein Vertrauen als Wähler geworben haben.

Ich bezweifle aber, dass sehr viele Menschen in diesem Lande Sie (richtig) kennen. Vor allem die zahlreichen Tierschützer in diesem Land – gerade auch aus Tierschutzorganisationen – gehen häufig davon aus, dass eine nach außen so freundliche Person wie Sie das in ihrer Macht Stehende tut, um leidenden Tieren zu helfen.

Was diese Menschen offenbar nicht zu wissen scheinen, ist, dass kein deutscher Bundeskanzler vor Ihnen weniger für den Tierschutz getan hat als Sie; ja dass die CDU unter Ihrem Vorsitz zu einer Partei geworden ist, die einseitiger denn je auf der Seite der Tiernutzer steht. Das war etwa bei den Hundehaltern Konrad Adenauer, Willy Brandt oder Helmut Kohl (der sich vor allem durch engagierte Mittelbereitstellung für die Reduktion von Tierversuchen einsetzte) noch anders, auch wenn sie fraglos mehr für den Tierschutz hätten tun können.

Ihre Haltung befremdet schon deshalb, weil es im Jahre 2002 nach einem zwölf Jahre dauernden, ständig steigenden Druck seitens der Bevölkerung gegen heftige Widerstände der Tiernutzerlobby mit Zweidrittelmehrheit vom Deutschen Bundestag und Bundesrat gelungen ist, dem Tierschutz im Umweltartikel 20a Grundgesetz Verfassungsrang zu verleihen. Daraus folgt die Verpflichtung, „Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen“. So heißt es in der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Dr 14/8860), die zugleich feststellt: „Dem ethischen Tierschutz wird damit Verfassungsrang verliehen“. Ihre ablehnende Gleichgültigkeit gegenüber dem ethischen Tierschutz, Frau Bundeskanzlerin, widerspricht dem Geist dieser Verfassungsnorm und missachtet zugleich den ausdrücklichen Willen der breiten Mehrheit der deutschen Bundesbürger.

Ihr Verhalten ist auch irritierend, weil Sie die Tochter von Pastor Horst Kasner sind, der sich schon in der DDR wie kaum ein Zweiter gegen die Massentierhaltung ausgesprochen hat. Bis zu seinem Tod im September 2011 hat Ihr Vater gegen die Massentierhaltung gepredigt und auch als Redner bei Demonstrationen Mitgefühl mit den Tieren gefordert: „Wenn der Mensch den ihm anvertrauten Tieren, dem Vieh, den Segen raubt, dann bringt er sich selbst um den Segen. ... Heute, bei industrieller Massentierhaltung, heißt es: ‚Tierproduktion', ‚Fleischproduktion’. Das sind, an unserer kulturellen Tradition gemessen, barbarische Begriffe; denn Tiere werden nicht industriell erzeugt. Sie werden gezeugt und geboren, wie Menschen eben auch gezeugt und geboren werden. Vieh, das ist keine Sache; das sind lebende Wesen, denen eine ihnen entsprechende Ehrfurcht gebührt. Wer sie ihnen vorenthält, entwürdigt nicht nur das Tier, sondern auch sich selbst“. Betrachtet man demgegenüber Ihre Äußerungen und Entscheidungen, Frau Bundeskanzlerin, so gewinnt man den Eindruck, dass das Engagement Ihres Vaters für Sie eher ein Grund ist, politisch das Gegenteil von dem zu tun, was Ihr Vater wollte.

Viele, die Ihre langjährige negative Haltung zum Tierschutz nicht verfolgt haben, waren schockiert über Ihre Aussagen, die Sie im November im Oberlinhaus in Potsdam vor vielen Zuhörern dazu gemacht haben, was Ihnen in Ihrer Kindheit wichtig war. Sie erzählten dort nämlich im Plauderton, dass Sie als Kind „sehen konnten, wie Tiere geschlachtet wurden, also ich habe mich da sehr wohl gefühlt“. Sie erklärten ferner: „Für die Küche wurde jede Woche ein Schwein geschlachtet, und da hab ich auch mich immer daran beteiligt“, und Sie ergänzten: „Also ich bin sehr glücklich, dass ich das alles erleben konnte“. Man müsse ja wissen, woher die Dinge kommen.

Aus der Forschung wissen wir indessen: Kinder kennen zunächst keine Grenze zwischen menschlichem und tierischem Leben. Diese wird ihnen erst beigebracht, ist also Teil des Sozialisationsprozesses. Kinder haben prinzipiell ein positives Verhältnis zumindest zu höher entwickelten Tieren. Das erstmalige Erleben eines Schlachtvorgangs ist für sie meistens ein Schock. Ein kindliches Wohlempfinden bei der Beteiligung an einem Gewaltakt, wie es eine Schlachtung darstellt, offenbart stattdessen pathologische Charakterzüge, die noch über die Gleichgültigkeit und Missachtung der Tiere hinausgehen.

Ihre tierwidrigen Entscheidungen in Sachen Tierschutz zeigen, dass Tiere für Sie reine Objekte sind, die man nach Belieben nutzen kann, wie qualvoll das in der Praxis auch sein mag. Ihre Aussagen, getätigt als kurze Bemerkungen auf einer Landwirtschaftsmesse und in einem Interview, bringen eine Sicht auf Tiere ans Tageslicht, die sich durch Herz- und Empathielosigkeit auszeichnet. Besonders betroffen macht mich Ihre rohe Gleichgültigkeit gegenüber dem millionenfachen Leid der landwirtschaftlich genutzten Tiere. Gerade ihnen gegenüber, die auch bei uns trotz Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung nach wie vor und mit Ihrem Wissen unaussprechlichen Qualen ausgesetzt sind, sind wir zu einer radikalen Kehrtwende verpflichtet, zumal die Wissenschaft inzwischen ihre Leidens- und Empfindungsfähigkeit eindeutig belegt hat.

Als im Januar 2005 Herr Eckard Wendt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung, auf der Internationalen Grünen Woche (IGW) den damaligen Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes Gerd Sonnleitner aufforderte, auf die betäubungslose Kastration von Ferkeln einzugehen, haben Sie Herrn Wendt im Vorbeigehen entgegnet: „Das sind doch nur Tiere!“ Dies zeugt von einer gefühllosen Einstellung gegenüber den leidenden Tieren und von Missachtung ihrer Würde und Bedürfhisse.

Ihre tierwidrige Haltung hat durch Ihre langjährige öffentliche Rolle als Regierungschefin und CDU-Parteivorsitzende zu einem Rückschritt in der agrar- und tierschutzpolitischen Ausrichtung der CDU geführt und wirft ein vielsagendes Licht auf die engen Verbindungen führender CDU-Agrarpolitiker zu den großen Agrar- und Bauernverbänden. Zu nennen ist hier zuallererst die Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann, die sich als ehemalige Syndika eines Agrarverbandes stets für die wirtschaftlichen Interessen der Agrarfirmen auf Kosten der Tiere einsetzt. Trotz unzähliger Tierschutzskandale in der Landwirtschaft, bei denen untätige Veterinärämter oft unter Leitung von CDU-Landräten eine beschämende Hauptrolle spielen, kommt Ihre Fraktionskollegin in ihrer Rede zum Neujahresempfang 2017 des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte zu dem Schluss: „Dass es den Tieren in Deutschland so gut geht – daran haben Sie als Tierärzte einen großen Anteil. Dafür gebührt Ihnen Respekt und Dank!"

Das tierschutzpolitische Versagen der von Ihnen geführten Partei zeigt sich auch an den Bundestagsabgeordneten Johannes Röring und Josef Rief sowie an der Landtagsabgeordneten Christina Schulze Föcking, die ihr Amt als nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin erst kürzlich aufgeben musste. Der Bauernverbandsfunktionär Röring, der stellvertretend im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sitzende MdB Josef Rief und vor allem auch Frau Schulze Föcking sind oder waren an landwirtschaftlichen Betrieben beteiligt, in denen nachweislich schlimmste Tierquälereien verübt wurden, die auch bildlich dokumentiert sind. Ein weiteres Beispiel einer in einen Agrar- und Tierschulzskandal verstrickten CDU-Politikerin ist Astrid Grotelüschen, die 2010 von ihrem Amt als niedersächsische Landwirtschaftsministerin zurücktreten musste und seit 2013 nichtsdestotrotz ebenfalls im Bundestag sitzt.

Mit Ihrer lobbynahen Agrarpolitik haben Sie und Ihre Partei sich von dem christlichen Auftrag des Schutzes der Tiere als Bestandteil der Schöpfung entfernt. Die katholische Kirche geht diesen Weg denn auch nicht mehr mit. Papst Franziskus betont in der Laudatio si, dass Gottes lebenspendender Geist in allen Geschöpfen wohne und dass die nichtmenschlichen Geschöpfe durch „einen Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein" charakterisiert seien. Basierend auf diesem Wertefundament spricht sich beispielsweise der Berliner Erzbischof Heiner Koch entschieden gegen die bestehende industrielle Tierhaltung aus. Er sagte im Januar 2017 in einem Rundfunkbeitrag: „Wir können die Augen nicht verschließen vor katastrophalen Zuständen in den großen Tierfabriken". So würden Schweinemäster Tiere, die nie Tageslicht sehen, wie ein technisches Fließbandprodukt behandeln und unter unsäglichen Bedingungen schlachten. Rinderzüchter würden ihren „Tieren brutal Gewalt antun, indem sie sie auf Tausende Kilometer lange Transporte durch halb Europa schicken“. Und auch auf evangelischer Seite engagieren sich viele Theologen und Gläubige gegen den derzeitigen Umgang mit den sogenannten Nutztieren, was seinen Ausdruck u.a. in verschiedenen EKD-Papieren findet.

Ich fordere Sie hiermit im Namen vieler Tierschützer und Tierrechtler und der Mehrheit der deutschen Bundesbürger auf, Ihrer Verantwortung gegenüber den Tieren als unseren Mitgeschöpfen wenn schon nicht als Christin, so wenigstens als dem Grundgesetz verpflichtete Kanzlerin gerecht zu werden. Dies beinhaltet u.a. die Aufforderung, die Interessen und Bedürfnisse von Tieren  nicht weiter  hinter die  wirtschaftlichen  Partikularinteressen  der Agrarindustrie zu stellen.

In diesem Sinne grüßt Sie

Dr. Eisenhart von Loeper

Hier der Brief im Original ...

Zurück